Sonntag
Sonntag. Und ich allein in der Stadt. Meine psychischbedingte Sechsstundenblasenentzündung von gestern ist mit sächsischen Bier besiegt. Um drei Uhr am Nachmittag hatte ich bereits ausgeschlafen, staubgesaugt, ferngesehen, meine digitalen Freunde gezählt, Mittag gegessen, die Weihnachtsdeko außer Sichtweite gebracht, geduscht, gefönt und Mittagsschlaf gehalten. Ich musste mal raus. Das Grau draußen lockte nicht gerade.
Doch der Spießer in mir überredete mich zu einem Sonntagnachmittagspaziergang und hatte keine große Aufgabe mein Langweilerzentrum zu überreden. Eigentlich ist mir ja nie langweilig.
Ich lief durch den Plänterwald und mied die Asphaltwege mit ihren Spaziergängern. Ich wollte nicht so sein wie sie. Meine neue Digitalkamera sollte mein Begleiter sein. Unverfroren zeigte sie mir meine Augenringe. Wo kommen die denn her? Ich hatte dieses Wochenende so viel geschlafen, wie manchmal eine ganze Woche nicht. Zu viel Schlaf ist auch nicht gut, offensichtlich.
Auf der Insel lud ein Aushang zum Lazy Sunday ein. Das letzte Mal hörte ich hier EBM und trank Becks Lemon. Heute gibt’s hier heißen großen Latte Macchiato, alternatives Publikum mit Cordaufnähern auf den Jeans, rotes Licht und einen Typen mit Gitarre, der sich „Vertretungsband“ oder so ähnlich nennt. Und seine Freundin, die ihm neue Bionade bringt, ist die Einzige, die über seine Ansagen zwischen den Liedern lacht. Er vermittelt so, sein Understatement als künstlerisches Instrument zu nutzen. Er singt von Milchkaffee im Stehcafe, Tom Cruise aufm Fahrrad und dem Tag, an dem Lassie starb.
Ich mal meine Stimmung aus und zähle die Tage bis zum nächsten Wochenende.
RundblickVomTurm - 7. Jan, 22:30